LESEPROBE I
Zurück bei George im Block wird es leider nichts mit der eigentlich anvisierten längeren Siesta zum Reflektieren. Mit Bildern, Schals und anderen Devotionalien bepackt, schleift mich mein Gastgeber gleich weiter, ein Treffen mit einem Rapid-Fan ist angesetzt. Während die beiden auf einer Parkbank die Fotoalben durchsehend rumänisch darüber schwadronieren, was der eine für den anderen eventuell, vielleicht oder auch nicht tun kann bzw. könnte, aale ich mich ein bisschen in der Sonne, suche meine innere Mitte - hehe. Der Kollege hat ebenfalls ein Faible für Partizan, das macht ihn sympathisch. Die Geschäftsabsprachen sind irgendwann getroffen, ab jetzt regiert erneut der Sport.
Kurzer Zwischenstopp noch mal zu Hause, sehe ich nun endlich auch Dave wieder, den zweiten Mann im RO-Bund. Durch seine inzwischen auf der Zielgeraden befindliche Ausbildung im Innendienst des Polizeiapparates hat er einigermaßen Stress, auch wegen der Freundin (George verwendet alternativ dazu die Bezeichnung "Konkubine") kaum noch Freizeit für Schabernack mit dem jüngeren Kampfesbruder, aber das unmittelbar bevorstehende Hallenfußballhighlight will er sich natürlich schon aus reiner Neugier (hat so was halt auch noch nie gesehen) nicht entgehen lassen.
Vor dem Vergnügen ist allerdings erst mal die Arbeit zu erledigen, sprich die Halle muss ausfindig gemacht werden. Die wiederholten Interviews mit Anwohnern lassen uns schließlich geradlinig in den Sala Primaria Sector 3 einlaufen. Auf dem Programm steht wie bereits unter der Woche angekündigt Spieltag acht der Divizia Naţională A in Sachen Fotbal in Sala aka Futsal. Die Liga steckt scheinbar noch in den Kinderschuhen, viele Teams kommen aus der Hauptstadt, sogar Eurolines unterhält eine Mannschaft. In unserer Turnhalle trifft um 14.00 Uhr die an der Stelle beheimatete Truppe von ACS3 Bucureşti auf Energoconstructia Craiova. Damit wäre auch abgeklärt, was George eigentlich hier will. Adriana und ihre Eltern sind im Publikum, stellen das vier Personen starke Gästekontingent im insgesamt gerade so an der 50er-Grenze kratzenden Zuschauermob.
Im ersten Flur oberhalb des Parketts gibt es eine Traverse für die Fans. Der Kleine möchte logischerweise vor seinem Weibchen fetzen bis zum Umfallen, Eindruck schinden, bettelt deshalb um die Digicam, damit er das, unter uns gesagt, völlig unerhebliche Event auch ja aus jeder Einstellung für die Nachwelt festhalten kann. "Okay, no prob, but, my hyperactive friend, please always keep that thing around your wrist, because I don’t wanna see the camera flyin' around here." Ich erkläre ihm, er solle stets das Band, das an der Knipse hängt, um sein Handgelenk legen, da er immer – gerade jetzt, da die Hormone kochen – so zappelig ist, und ich minimal Angst um das teuer erstandene und nur wenige Wochen alte Equipment habe. "Yeah, yeah, sure... Adriana, look what I got." Na gut, den können wir vergessen, der ist beschäftigt, sieht Sternchen und Honigkuchenpferde.
Gelegenheit, in Ruhe mit Rave-Dave zu quatschen, der seit eh und je der stillere von beiden ist, aber mächtig Checkung hat. Ihr neues Projekt, der von Vereins- und Verbandsinteressen unabhängige Nationalmannschaftsfanclub, läuft gerade an, in Zukunft plant man auch, auswärts dabei zu sein. Ziel ist die WM 2006 in Deutschland. "Ui, das wird schwer, Mutu ist ja erst mal raus. Aber wenn es Rumänien schafft, dann seid ihr natürlich eingeladen, mal nach Zwickau zu kommen. Man wird sehen."
Während wir thematisch ins Lokale abdriften, höre ich es auf einmal im Hintergrund scherbeln. Jetzt bloß nicht umdrehen, einfach cool bleiben. Scheiße, geht nicht. George steht da wie von der Tarantel gestochen, Dave kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Die Kamera hat soeben mit einem wunderschönen Parabelwurf den Weg aus dem Obergeschoss auf das Spielfeld gefunden, dort eine Unterbrechung verursacht. "Oh oh, seems like we’re having some trouble ahead."
LESEPROBE II
Gleich nach dem Frühstück ging es mit einer Marschrutka zur aserbaidschanischen Botschaft. Ich verpasste natürlich die richtige Haltestelle, konnte durch diesen Fauxpas aber schon das Lokomotiwi Stadion lokalisieren. Bei der Botschaft ging die Antragstellung schneller als gedacht. Eine Einladung war nicht vorzuweisen, denn das Hotel Baku in Baku lud alle Antragsteller ein.
Von der Botschaft ging es zum Fußballverband, welcher im Lokomotiwi Stadion seinen Sitz hatte, um die genauen Daten der Rückspiele in der Vorrunde des georgischen Pokals in Erfahrung zu bringen. Der Verband fühlte sich aber überfordert und brachte mich zum Büro der Fußballliga. Dort versprach man mir, sich darum zu kümmern, und ich sollte doch am folgenden Tag noch einmal wiederkommen. Daraufhin sollte es zum Büro von Dinamo Tbilissi gehen, wurde mir doch mitgeteilt, dass diese heute spielen sollten. Da der Anwalt vom Erstligisten Zestafoni auch zum Dinamo-Stadion wollte, spendierte er die Taxifahrt, und man unterhielt sich angeregt über die Probleme des georgischen Ligafußballs.
Das Stadion wirkte von außen eher wie ein neues Projekt von Christo, da es für den anstehenden Ländervergleich gegen Frankreich renoviert wurde. Meine Annahme, dass somit auch Dinamo seine Ligaspiele temporär nicht hier austrägt, bestätigte ein Security-Mitarbeiter.
Das Büro von Dinamo war, wie es dann immer so ist, auch nicht am Stadion, sondern ziemlich weit außerhalb. Zum Glück fuhr ein Bus in die Nähe, so dass ich alsbald die Security-Leute vom Dinamo-Gelände beim Playstation spielen stören konnte. Das Gelände selber durfte ich nicht betreten, aber per Haustelefon teilte mir eine Dame mit, dass im Stadion Sinatle im Stadtteil Awschala Dinamo 2 auf Achalziche treffen sollte. Diese Stadt ließ mich also nicht in Ruhe. Mit dieser freudigen Nachricht ging es wieder zur Botschaft, und gegen 40 Dollar bekam ich meinen Pass samt 3-Tages-Visum zurück. Mit einer Melone bewaffnet ging es mit der Metro zur Endhaltestelle, und von dort nochmals zehn Minuten mit dem Bus zum Sinatle Stadion.
Das Stadion hat auf einer Seite eine teilweise stark zerfallene Stahlrohrtribüne mit fünf Stufen, in der Mitte einen Sprecherturm und ansonsten nichts. UEFA- oder gar FIFA-Spiele dürften hier in nächster Zeit nicht über die Bühne gehen. Das Spiel war teilweise besser als das am Vortag, dürfte Verbandsliganiveau aber nicht überschritten haben.
LESEPROBE III
Bereits vor dem ersten Ballkontakt gibt es bei Dinamo ein Spruchband: "Adi Mutu, die P.C.H. ist mir dir!" soll dem Kokser in London Mut machen. Dann startet sie, die erwartet große Sonntagabendderbyshow. Mit dem Einlauf der Teams präsentieren beide Fanblöcke ihre Choreographien. Bei Dinamo besteht diese aus einer riesigen Blockfahne, auf die eine Festung gemalt ist, die von einem rapidlogoförmigen Schild geschützt wird. Eine dinamo-rote Mittelalterkanone durchschlägt das Schutzschild natürlich. Über der Blockfahne prangt das an Stangen zum Hochhalten befestigte Spruchband "Heute zerstören wir euch!", dazu sind beidseitig des Hauptmotivs als Einfassung unzählige kleine rot-weiße Schwenkfähnchen platziert. Auf der gegenüberliegenden Seite wartet man, bis die Spieler im Mittelkreis in Position gelaufen sind und sich alle einigermaßen an der Aktion im Gästeblock sattgesehen haben. Zur Überbrückung reicht eine stadionweite Schalparade dicke aus, dann werden weinrote und weiße Papptafeln präsentiert, die über die gesamte Breite des Hintertorbereiches das Wort „Nord“ ergeben. Am oberen Blockrand dazu noch über einzelne Doppelhalter der Schriftzug "Autentic", in den Außenblöcken links und rechts je zwei Ziffern des Gründungsjahres der Nordterrasse (1996), und am Zaun zum Innenraum die Nachricht "Authentizität führt zu Ruhm, ihr fehlen zu überflüssigen Klonen!" Auch wenn bei den Tafeln nach außen hin ein paar helfende Hände fehlen, so lässt sich auch dieses Intro als äußerst gelungen bewerten.
Was beide Seiten in den kommenden Minuten akustisch bieten, ist einfach nur Perle. Ich stehe genau vor dem mit dem "Nuova Guardia Away"-Lappen beflaggten Block (weitere Hauptfahnen: Brigate, Supras, Dinamo Colentina), der von einem etwa 35jährige Capo befehligt wird. Schon kurz nach dem Auftakt ist drüben bei den Granatroten das erste Spruchband zu sehen. Ihm sollen noch etliche folgen, wobei sich Dinamo die Mühe macht, jedes einzelne zu kontern. Dafür wird immer auf dasselbe System zurückgegriffen, nämlich ein Text, der sinngemäß nichts anderes aussagt als "Dies ist eure 1., 2., ..., 6. Lüge".
Auf dem Rasen geht es ähnlich stürmisch zu, und an der Seitenlinie wird innerhalb der Coachingzone ordentlich gerudert. Zu Rapid hat es in jüngster Vergangenheit mit den Zwillingen Arman und Artavazd Karamjan von Pjunik Eriwan ja die beiden ersten Armenier der Divizia verschlagen. Darüber hinaus steht in der Elf von Mäzen George Copos (erfolgreich in Wirtschaft und Politik) in Person von Marian Aliuţă der ehemals bestverdienende Spieler der Liga, welcher über den Umweg Electromagnetica von Steaua hierher gewechselt war. Einige Experten dürften sicher auch Sabin Ilie kennen, den kleinen Bruder von Adrian, der mal für Energie Cottbus gekickt hat, bis er im Brandenburgischen von der Polente besoffen hinterm Lenkrad erwischt wurde. Auf der anderen Seite bleibt nicht soviel Zeit für Biographisches, der erste Wechsel erfolgt bereits nach 14 Minuten: verletzungsbedingt muss Mărgăritescu raus, Alistar dafür rein. Kein guter Start, bedenkt man die Bedeutung der Partie, entscheidet doch deren Ausgang höchstwahrscheinlich darüber, ob die Titelverteidigung diese Saison an der Sos. Ştefan cel Mare überhaupt noch Thema bleibt.
LESEPROBE IV
Nach knapp 10-15 Minuten zurück zum Auto. Zumindest war das so geplant, denn wir waren da – nur das Auto eben nicht. Leichte Panik machte sich breit, und als die hergerufenen Polizisten uns nach Rückruf in der Zentrale erklärten, dass die Kiste nicht abgeschleppt worden ist, war klar, dass ein einheimischer Dienstleister nicht mehr mit ansehen hatte können, wie wir in unserem (nach sechs Tagen, durch viele dreckige und nasse Klamotten doch mittlerweile recht erheblichen) Mief hocken mussten, und hatte uns so kurzerhand unserer Sorgen (und unseres Gepäcks) erleichtert. Herzlichen Dank auch noch mal von dieser Stelle. Ein Handy, Ladegeräte, Reisepass, eine Digitalkamera, Klamotten, Schlafsäcke, Essen... alles weg. Was uns blieb waren Portemonnaies, meine Kamera, zwei Handys und die Sachen, die wir gerade anhatten. Am meisten jedoch schmerzte mich der Verlust von meinem Ultras-Apollon-T-Shirt und dem Panathinaikosschal.
Nach 30 Minuten kam dann ein Polizeiwagen und mit ihm jemand, der des Englischen mächtig war. Er erklärte uns, dass wir nun dringend zur Botschaft müssten, denn in Bulgarien ist die Amtssprache Bulgarisch – sprich: Es wird nichts anderes akzeptiert bei einer Behörde. Das bedeutete für uns: Entweder ratz-fatz Bulgarisch lernen oder einen Dolmetscher ranholen. Nachdem die Anzeige dann aufgegeben sei, dürften wir selbstverständlich das Land verlassen. Er gab uns eben noch eine Karte mit seinem Namen und der zuständigen Polizeidienststelle, wo wir ihn dann mit dem Dolmetscher erreichen könnten, und machte sich dann daran, den Tatort zu fotografieren. Allem Anschein nach war auch in einige Busse, die dort standen, eingebrochen worden. Und das alles im Umkreis von 20 m um die Polizei?! Entweder wurden da beide Augen zugedrückt, oder irgendwer war unfassbar dreist. Auch kaum vorstellbar, dass die Herren in Blau den Wagen nicht haben wegfahren sehen. In den 45 Minuten, die wir dort standen, fuhren vielleicht drei Wagen vom Parkplatz – wie viele dürften das wohl in den zehn Minuten gewesen sein, die wir weg waren? Und dann noch ein Golf 4 mit deutschem Kennzeichen.
Uns wurde dann ein Taxi gerufen, und wir wurden zur Botschaft gefahren. Mit dem wohl ältesten und langsamsten Taxi der ganzen östlichen Hemisphäre. Dass wir uns dank fehlender Gurte nicht anschnallen konnten, war in der Situation allerdings unser kleinstes Problem. Das richtige kam erst, als wir in der Botschaft saßen und einen fünfseitigen Katalog vorgelegt bekamen, in dem stand, was wir nun alles zu tun hätten. War geplant gewesen, die Anzeige aufzugeben und dann direkt zum Leverkusenspiel zu fahren, um eventuell einen Platz im Bus klarzumachen, wurde uns jetzt direkt mal erklärt, dass das nix wird. Das ganze benötigte Prozedere war in einem Tag unmöglich zu schaffen.
Mit Jenni, der Dolmetscherin, ging es dann zum Polizeirevier 5, natürlich nicht ohne ihr vorher eingebläut zu haben, dass wir um spätestens 17:00 Uhr da raus sein müssen, um zumindest noch die zweite Halbzeit bei ZSKA sehen zu können. Sie verstand zwar nicht, wieso uns das so wichtig war, versprach aber, ihr Möglichstes zu tun.
Die erste Stunde verstrich schnell, und Fortschritte waren irgendwie mal gar keine zu erkennen. Wir wurden immer ungeduldiger – unser Gegenüber immer trantütiger. Zwischendurch kamen dann der ein oder andere Kollege rein und meinte, irgendwas beitragen zu müssen. Am interessantesten noch der Hinweis, dass wir Glück hatten, dass wir nicht eine Stunde später am Tatort gewesen seien. Genau auf dem Parkplatz wurde jemand erschossen. Ja, Geilomat, super Ecke wie es aussieht. Außerdem gab es noch einen kurzen Exkurs über die Hools in Sofia, die wohl jedes Wochenende Terz machen (beim Derby ZSKA – Lewski vor einigen Wochen gab es wohl eine dreistellige Zahl Verhafteter). Irgendwie meinte der gute Herr auch die ganze Zeit, wir seien – trotz gegenteiliger Behauptungen unsererseits – wegen Leverkusen in der Stadt.
Geschlagene zwei Stunden später hatte der gute Mann dann seine Schuldigkeit getan und das Protokoll handschriftlich fertiggestellt. Wir wussten, dass wir ein Protokoll mit Stempel für den Staatsanwalt brauchen würden, also dachten wir, die hauen uns da nun eben jenen drauf, und wir können endlich zum Fußball. Dann hätte es sogar für die erste Halbzeit noch locker gereicht. Typischer Fall von denkste. Nun wurde auch noch ein Kreuzchen im zweiten Stock des Gebäudes gesetzt. Vorbei an dem „Knast“ im Erdgeschoss, aus dem eine recht finstere Person lugte. Anzumerken, dass dies Polizeireviertechnisch schon mein zweiter Länderpunkt dieses Jahr ist. Europa komplettieren ist allerdings erst mal nicht vorgesehen.
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Anstoß in Baku
Autoren: Martin Czikowski, Markus Stapke, Ronny Schulz , Mirko Otto
Lektorat: Marcel Raabe, Karten: Markus Reinhold
Verlag: Burkhardt & Partner Verlag
Format: Paperback, 19cm x 12,4cm Seiten: 264 Seiten
Farbigkeit: schwarz/weiss
ISBN: 978-3-940159-04-5
Preis: EUR 9,50
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